Bisher war unklar, wie unterschiedliche Materialien die Wahrnehmung von Reizen auf der Haut veränderten und so auch den Tragekomfort beeinflussten. Saarbrücker Forscher untersuchten daher, wie biegsam spezielle Folien sein dürfen, damit die Haut verschiedene Reize wahrnimmt.
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Wissenschaftler der Universität des Saarlandes arbeiten daran, mobile Geräte über den menschlichen Körper zu bedienen, da dies im Vergleich zu Multi-Touch-Displays schneller und intuitiver möglich ist. Jedoch war bisher unklar, wie unterschiedliche Materialien die Wahrnehmung von Reizen auf der Haut veränderten und so auch den Tragekomfort beeinflussten. Die Forscher untersuchten daher, wie biegsam spezielle Folien sein dürfen, damit die Haut verschiedene Reize wahrnimmt. Die Informatiker der Saar-Uni kooperierten dafür mit Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Neue Materialien. Ihre Ergebnisse wurden auf der renommierten „Conference on Human Factors in Computing Systems“ ausgezeichnet.
„Auf der Haut getragene Eingabegeräte ermöglichen eine Vielzahl von wichtigen Anwendungen“, erklärt Informatik-Professor Jürgen Steimle von der Universität des Saarlandes. Beispielsweise könnten Sensoren an jeder Körperstelle den Gesundheitszustand überwachen, ohne dabei unangenehm für die tragende Person zu sein. Auch Prothesen könnten damit so verbessert werden, dass sie sich wie ein echtes Körperteil anfühlten. Zahlreiche Prototypen hätten die Machbarkeit schon bewiesen. Einige davon, „Tactoo“, „SkinMarks“und „iSkin“, hat Steimles Forschergruppe selbst entwickelt. „Eine entscheidende Frage war jedoch noch nicht beantwortet: Wie verändern die pflasterartigen Ein- und Ausgabefolien die Wahrnehmung auf der Haut?“, erläutert Jürgen Steimle. Um diese Frage zu klären, haben die Informatiker der Saar-Uni mit Wissenschaftlern des INM – Leibniz-Instituts für Neue Materialien in Saarbrücken und dem Korea Advanced Institute of Science and Technology kooperiert.
Gemeinsam entwickelten sie mehrschichtige, pflasterartige Materialien auf Silikon-Basis, die ohne Klebstoffe sehr gut auf der Haut haften und wiederverwendbar sind. „Klebstoff kann unangenehm sein, in manchen Fällen sogar eine allergische Reaktion auslösen. Daher wollten wir dessen Anwendung umgehen“, erklärt Klaus Kruttwig, der am INM die Forschergruppe „Biointeraktionen“ leitet. Neben dem sogenanntem „Tattoo-Papier“, welches für viele bisherige Systeme eine gängige Lösung ist, testeten die Wissenschaftler zwei unterschiedliche Silikon-Folien-Pflaster auf der Haut von 16 Teilnehmern im Durchschnittsalter von 27 Jahren. Als vergleichbare Kenngröße diente dabei die unterschiedliche Biegesteifigkeit der drei Materialien. „Normalerweise ermittelt man bei ähnlichen Messungen die Dicke und Elastizität. Wir haben uns hier jedoch für die Biegefestigkeit entschieden, weil wir so mit einer einzigen Kenngröße vergleichbare Aussagen treffen können“, sagt Professor Roland Bennewitz, Leiter des Programmbereichs Nanotribologie am INM.
Um die durch das Tragen der Materialien veränderte Berührungsempfindlichkeit zu bestimmen, führten die Forscher insgesamt drei psychophysische Experimente durch. Dabei fanden sie heraus, dass die empfindlichste Stelle, die Fingerkuppe, durch das Aufbringen der Materialien am meisten an Empfindlichkeit verliert. An weniger sensiblen Hautstellen wie Unterarm oder Handfläche war jedoch keine signifikante Veränderung der Empfindlichkeit messbar. Eine mittlere Biegefestigkeit zu benutzen, versprach die beste Balance zwischen einer aktiven Wahrnehmung und mechanischer Robustheit. Aufbauend auf ihren Ergebnissen erstellten die Wissenschaftler eine Klassifikation für auf der Haut getragene interaktive Folien, entsprechend ihrer Dicke und ihrer Biegefestigkeit.
„Das beste Material für solche Anwendungen auszuwählen, war bisher eine schwierige Designfrage, da man so wenig über die taktile Wahrnehmung wusste“, erklärt Aditya Shekhar Nittala, Doktorand bei Professor Steimle und Erstautor der Publikation. „Unsere Arbeit hilft nun Designern, die beste Balance zwischen den Materialeigenschaften, der mechanischen Robustheit und der taktilen Wahrnehmung zu finden.“
An dem Projekt „Like a second skin“ waren beteiligt: Aditya Shekhar Nittala und Professor Jürgen Steimle vom Saarland Informatics Campus der Universität des Saarlandes, Jaeyeon Lee vom Korea Advanced Institute of Science and Technology sowie Klaus Kruttwig, Professor Roland Bennewitz und Professor Eduard Arzt vom Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken. Sie wurden auf der renommierten „ACM CHI Conference on Human Factors in Computing Systems“ in Glasgow mit dem „Honorable Mention Award“ ausgezeichnet. Die Forschung wurde finanziert mit Geldern des Starting Grants „Interactive Skin“ vergeben durch den Europäischen Forschungsrat (ERC) und durch den Grant 340929 des siebten EU-Forschungsprogramms.
Ihre Experten
Professor Eduard Arzt Leibniz-Institut für Neue Materialien Wissenschaftlicher Geschäftsführer Leiter Funktionelle Mikrostrukturen [email protected] Tel.: +49 681-9300-500 |
Professor Jürgen Steimle Lehrstuhl für Mensch-Computer-Interaktion Saarland Informatics Campus Universität des Saarlandes [email protected] Tel.: +49 681 302 71081 |
Weitere Informationen
Hintergrund Leibniz-Institut für Neue Materialien:
Das Leibniz-Institut für Neue Materialien vereint multidisziplinäre Wissenschaft und materialorientierten Technologietransfer unter einem Dach. Chemie, Physik, Biologie, Materialwissenschaft und Engineering wirken in enger Kooperation auf hohem Niveau zusammen. Das INM mit Sitz in Saarbrücken ist weltweit mit zahlreichen Forschungsorganisationen und Technologiefirmen vernetzt. Über sieben gemeinsame Professuren ist es mit der Universität des Saarlandes eng verbunden. Das INM ist ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft und beschäftigt rund 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Hintergrund Saarland Informatics Campus:
800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und rund 1900 Studierende aus 81 Nationen machen den Saarland Informatics Campus (SIC) zu einem der führenden Standorte für Informatik in Deutschland und Europa. Sechs weltweit angesehene Forschungsinstitute, nämlich das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), das Max-Planck-Institut für Informatik, das Max-Planck-Institut für Softwaresysteme, das Zentrum für Bioinformatik, der Exzellenzcluster für Multimodal Computing and Interaction und das CISPA – Helmholtz-Institut für Informationssicherheit, drei vernetzte Fachbereiche und 18 Studiengänge decken das gesamte Themenspektrum der Informatik ab.
Originalpublikation:
https://hci.cs.uni-saarland.de/research/like-a-second-skin/