Studie zeigt, wie Immunzellen Krankheitserreger einfangen

Immunzellen sind ständig unterwegs, um Krankheitserreger abzufangen. In der Haut sind dies insbesondere so genannte dendritische Zellen, die sich viel schneller als andere Körperzellen durch die Zellschichten bewegen. Wie die Zellen dies genau bewerkstelligen, war bisher unerforscht. Biophysiker um Professorin Franziska Lautenschläger haben nun herausgefunden, wie die Fortbewegung der Abwehrzellen funktioniert. Ihre Erkenntnisse haben sie im renommierten Fachmagazin PNAS publiziert.

Gemeinsame Pressemitteilung der Universität des Saarlandes und des INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien

Wenn sich ein Einbrecher am Kellerfenster zu schaffen macht und ein aufmerksamer Nachbar die Polizei verständigt, ist es nicht sonderlich hilfreich, wenn die Beamten zu Fuß an den Tatort eilen oder auf die Pferdekutsche springen, um die bösen Jungs auf frischer Tat zu erwischen. Besser ist es, wenn sie mit einem gut motorisierten Streifenwagen schnell zum Einbruchsort fahren können, um den Einbrecher noch vor Ort einzufangen.

So ähnlich ist es auch bei der körpereigenen Abwehr von Krankheitserregern. Während sich Körperzellen in der Regel nicht sonderlich schnell fortbewegen können, sind so genannte dendritische Zellen in den oberen Hautschichten etwa um das Zehn- bis 15-fache schneller als ihre Artgenossen. Die Abwehrzellen patrouillieren durch die Hautschichten und sind dabei auf der Suche nach Krankheitserregern. Finden sie welche, die sie quasi auf frischer Tat beim „Einbruchsversuch“ ertappen, flitzen die Zellen damit zum nächstliegenden Lymphknoten, so dass das Immunsystem mit weiteren Abwehrmaßnahmen beginnen kann.
Wie sich die Abwehrzellen aber genau fortbewegen, war bislang nicht geklärt. Diese Frage stand im Zentrum der wissenschaftlichen Arbeit, die die Saarbrücker Biophysikerin und Nachwuchsgruppenleiterin des Leibniz-Instituts für Neue Materialien Franziska Lautenschläger nun gemeinsam mit theoretischen Physikern um Karsten Kruse (Universität Genf), in einem Artikel im renommierten Fachjournal PNAS beantworten konnte.

„Grundsätzlich bewegen sich dendritische Zellen anders als andere Zellen“, erläutert die Professorin. Gut erforscht ist die so genannte mesenchymale Fortbewegung, bei der sich Zellen über eine Oberfläche bewegen, auf der sie anhaften. „Dendritische Zellen nutzen aber die so genannte amöboide Migration, die wenig erforscht ist“, so die Wissenschaftlerin. Dabei stülpt sich die Zelle wie eine Amöbe so aus, dass sie jede beliebige Form annehmen kann und so auch in jeden denkbaren Zwischenraum passt. Stellt man sich das Zellgewebe der Haut als lose Ziegelsteinmauer vor, kann die dendritische Zelle dadurch also durch die schmalen und unregelmäßigen Zwischenräume der einzelnen Zellen (der Ziegelsteine) hindurchschlüpfen und so Eindringlinge aufspüren. Ähnlich wie ein Kletterer, der sich zwischen zwei Steilwänden mit Händen und Füßen abdrückt, kann sich die Abwehrzelle so sehr schnell bewegen.

„Dabei bewegen sich die Zellen nach zwei Mustern: Entweder recht geradlinig in langen, gebogenen Kurven – persistent – oder diffus“, erklärt Franziska Lautenschläger. Vereinfacht bedeutet dies, dass die Zelle entweder große Distanzen recht schnell überwinden, dabei aber nicht wirklich gründlich suchen kann (persistent). Oder sie sucht diffus nur einen recht kleinen Radius durch, diesen aber sehr gründlich. „Das ist ähnlich, wie einen Schlüssel am Strand zu suchen“, vergleicht Lautenschläger. „Ich kann entweder vom Parkplatz bis zu meiner 100 Meter entfernten Strandliege, auf der ich gelegen habe, jedes Sandkorn umdrehen und alles durchsuchen. Das dauert unendlich lange, aber irgendwann finde ich den Schlüssel sicher. Oder ich gehe erst einmal schnell zurück zur Liege und schaue dort nach, wo es am wahrscheinlichsten ist, dass ich den Schlüssel verloren habe, und wenn er da nicht liegt, gehe ich weiter zum Beispiel zum Eisstand, wo ich mir ein Eis geholt habe, und suche dort weiter.“
Ein bestimmter Mix aus beiden Bewegungen stellt dabei die ideale Kombination dar, um schnell und gründlich Krankheitserreger aufzuspüren. Es gibt also, um im Strand-Bild zu bleiben, einen gewissen Anteil an Zellen, die den Strand gründlich auf kleinem Raum durchgraben, und einen weiteren Teil, der schnell von A nach B eilt, um nachzuschauen, wo der Autoschlüssel liegt.

Dabei können die Zellen sehr schnell von einer in die andere Bewegungsart umschalten, indem sie ein bestimmtes Molekül in den Zellen, das Protein Aktin, zu einer langen Kette, einem Polymer, zusammenschließen. Ist diese Aktin-Spirale irgendwann lang genug, stößt sie an die Zellwand, stülpt diese aus und gibt der Zelle damit einen „Schubs“ oder Impuls in eine bestimmte Richtung. „Je schneller diese Polymerisation von Aktin dabei vonstatten geht, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die Zelle persistent, also eher schnell geradeaus, fortbewegt“, erklärt Franziska Lautenschläger die Beobachtungen. Bilden sich die Aktin-Wellen langsamer, bewegt sich die Zelle eher diffus, also kleinräumig.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Franziska Lautenschläger aus Saarbrücken konnten unter einem hochauflösenden Mikroskop im Experiment damit ein theoretisches physikalisches Modell bestätigen, das der Physiker Karsten Kruse entworfen hat, der an der Universität Genf forscht. Franziska Lautenschlägers Team hat dafür dendritische Zellen jeweils über einen ganzen Tag lang beobachtet und alle drei Minuten ein Bild der Zellen gemacht. Unter dem Mikroskop waren die Bewegungsmuster der Zellen und die Aktin-Wellen gut zu erkennen, die die Theoretiker im Modell zuvor errechnet hatten.
Das Forscherteam hat damit eine weitere Frage aus der biophysikalischen Grundlagenforschung beantwortet, die die Prozesse im menschlichen Körper entschlüsseln möchte. Ob diese Erkenntnis irgendwann einen praktischen Nutzen entfalten wird, ist noch völlig unklar. „Aber wenn wir verstehen wollen, wie Krankheiten funktionieren und auch, wie das Immunsystem auf bestimmte Bedrohungen reagiert, müssen wir solche Grundlagen verstehen“, resümiert Franziska Lautenschläger.

Mit der Wissenschaft ist es hier wie mit der Polizei: Man weiß nie, ob man sie tatsächlich braucht oder nicht. In die meisten Häuser wird ja auch nicht ständig eingebrochen. Aber es ist gut zu wissen, dass es die Polizei gibt und wie man sie erreichen kann, damit sie einen Einbrecher im Falle des Falles dingfest machen kann.

Bibliographische Angaben:
Luiza Stankevicins, Nicolas Ecker, Emmanuel Terriac, Paolo Maiuri, Rouven Schoppmeyer, Pablo Vargas, Ana-Maria Lennon-Duménil, Matthieu Piel, Bin Qu, Markus Hoth, Karsten Kruse, Franziska Lautenschläger:Deterministic actin waves as generators of cell polarization cues, PNAS, https://doi.org/10.1073/pnas.1907845117

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Franziska Lautenschläger
Tel: (0681) 9300 460
E-Mail: f.lautenschlaeger(at)physik.uni-saarland.de

Das INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien mit Sitz in Saarbrücken ist ein internationales Zentrum für Materialforschung. Es kooperiert wissenschaftlich mit nationalen und internationalen Instituten und entwickelt für Unternehmen in aller Welt. Die Forschung am INM gliedert sich in die drei Felder Nanokomposit-Technologie, Grenzflächenmaterialien und Biogrenzflächen. Das INM ist ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft und beschäftigt rund 260 Mitarbeiter.